Am Nikolaus-Abend klingelte es bei uns. Aha – Laterne laufen. Süßigkeiten standen bereit und ich war gespannt auf das, was mich an der Haustür erwartet. Da waren die „üblichen Verdächtigen“, die erst die Hand aufgehalten haben und dann mit Mühe und Not einen Vierzeiler herunterratterten. Geschenkt. Kenne ich. Grinsen musste ich trotzdem. Schließlich kannte ich sie alle.

Doch dann passierte etwas, das war neu. Es klingelte. An der Tür stand ein kleines Mädchen – vielleicht drei oder vier Jahre alt. Begleitet wurde sie von ihrem Bruder – vielleicht neun Jahre alt. Sie gehen die wenigen Stufen bis zu meiner Wohnungstür, stellen sich vor mir auf und sagen im Duett ein Gedicht mit gefühlten zehn Strophen auf.

Wow! Großartig, die beiden! Das kleine Mädchen war sehr aufgeregt und war ziemlich schnell beim Aufsagen. Kein Problem. Das kenne ich. Und wie! Selbstverständlich wanderten Süßigkeiten in die kleinen mitgebrachten Nikolaussäckchen.

Warum erzähle ich Euch das? Vor mir liegt ein Weihnachtsbilderbuch, dessen Inhalt ich als kleines Mädchen auch auswendig gelernt und am Heiligen Abend aufgesagt habe. Es war das Weihnachtsgedicht von Joseph von Eichendorff
„Weihnachten“: „Markt und Straßen stehn verlassen. Still erleuchtet jedes Haus. Sinnend geh‘ ich durch die Gassen. Alles sieht so festlich aus.“ Und so weiter.

Auch ich war immer aufgeregt und viel zu schnell. Meine Großmutter nahm, wenn sie es merkte, meine Hand und ich wurde augenblicklich ruhiger und langsamer.

Als ich gestern dieses wunderbare Bilderbuch bekam, ertappte ich mich dabei, dass mich das sehr berührt hat und ich Tränen der Erinnerung in meinen Augen spürte. Es erinnerte mich an meine so sehr geliebten Großeltern, an den großen wunderbaren Tannenbaum, daran, dass wir alle gesungen haben (in einer musikalischen Familie ist das so) und ich leider immer das mit der Blockflöte durchziehen musste. Schrecklich! Ich habe Blockflöte gehasst! (Sorry an alle Blockflöten.)

Joseph von Eichendorff lebte von 1788 bis 1857. Er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der deutschen Romantik. Als Lyriker und Schriftsteller verfasste er Gedichte, Novellen und Theaterstücke. Und Prosatexte. Er ist viel in der Welt herumgereist, aber früh verstorben. Er war erst 69 Jahre alt. Aber alles, was er den Menschen gegeben hat, kann man nachlesen.

Zurück zu „Weihnachten“. Es ist ein Gedicht, das sehr sehr alt ist. Den Dichter kennen vielleicht nicht mehr viele Menschen. Mich hat er begleitet. Irgendwann hatte ich „Weihnachten“ aus den Augen verloren. Seit gestern ist es zurück. Und ich möchte Euch dieses uralte Gedicht sehr ans Herz legen. Weihnachten ist ja auch ein bisschen Nostalgie, oder?! Passt also.

Euch allen von Herzen ein sehr schönes Weihnachtsfest!

Bremen, 11. Dezember 2021