Als die Namen verloren gingen

von Andrea Katzenberger
Kunstanst!fter Verlag
2018, 40 Seiten
Altersempfehlung: ab 6 Jahren
Preis: 22,00 Euro

Zuerst war alles super. Jakob wurde in eine Familie hinein geboren, die ihm all die Liebe geben konnte, die ein Kind braucht, damit es sich zu einem wunderbaren Menschen entwickeln kann.

Bis zu dem Augenblick, als er bemerkte, dass seine Eltern begannen, sich zu streiten. Zuerst manchmal. Dann immer öfter. Und sie bewarfen sich gegenseitig mit Wortschöpfungen, die Jakob so noch nicht kannte. Nach dem letzten großen Streit folgte die Stille. Eine unerträgliche Stille. Und Jakob? Was soll er schon machen?! Er schafft sich eine Phantasiewelt, baut sich ein Flugobjekt-Rettungsboot aus Panzerglas und zieht sich damit zurück und erforscht Welten, die ihm bisher unbekannt waren. Er ist allein mit sich, der Sprachlosigkeit und der absoluten Stille.

Bis er auf jemanden trifft, dem es wohl mit seinen Eltern ähnlich zu gehen scheint. Und dieser Jemand ist ein Mädchen. Sogar das Flugobjekt-Rettungsboot sieht so aus wie seines. Da es keinen Kommunikationskanal gibt, über den sie sich unterhalten können, schreiben sie Zettel. „Wie heißt du?“ fragt das Mädchen. Er will schon antworten, stellt aber erschrocken fest, dass er seinen Namen vergessen hat. Auch das Mädchen konnte sich nicht an seinen Namen erinnern. Also schrieben sie Zettel. Das Mädchen war gerade beim Gemütszustand „wütend“ angekommen, denn alle Namen, die sie auf ihre Zettel schrieb, waren die falschen.

Wütend warf sie die Papierkugel gegen das Panzerglas ihres Flugobjekt-Rettungsbootes, das zu Jakobs großer Sorge plötzlich einen Sprung bekam, zerplatzte, das Mädchen erst ins Wasser und dann an die Meeresoberfläche spülte, wo Jakob zum Glück schon auf sie wartete.

Unterdessen wurde zu Hause weiter gestritten, die Luft wurde immer dicker, die Tiere im Streit immer größer und keinem der Streithähne schien aufzufallen, dass Kinder fehlen.

Unterdessen ist auf dem Meer ganz schön viel los. Über den Kindern braut sich ein Sturm zusammen, der sie in die Luft katapultiert und so lange vor sich her schiebt, bis sie auf einer weißen Wolkeninsel landen können. Das alles hat die beiden Kinder ganz schön mitgenommen.

Das Mädchen schreibt in den Wolkensand: „Ich will nach Hause“. Auch Jakob wünscht sich das so sehr, dass er nicht bemerkt, wie eine Träne über seine Wange kullert, auf das Panzerglas tropfte und dieses von einer Sekunde zur anderen zum Zerspringen bringt. In dieser Sekunde hört er, wie jemand nach ihm ruft. „Jakob!“ und plötzlich weiß er seinen Namen wieder.

Die Wolkeninsel löst sich auf, die Kinder schweben vorsichtig zurück zur Erde und landen im Garten von Jakobs Eltern. Jetzt können sie sich endlich sagen, wie sie heißen. Fanny und Jakob werden von erleichterten Eltern in Empfang genommen. Alles ist wieder gut.

Manchmal ist es nicht gut, sich in sich selbst zu verkriechen und niemanden an sich heranzulassen. Jakob und Fanny haben einen Weg gefunden. Per Zufall. Zum Glück.

Bremen, 15. April 2018