Buchcover "All dies ist nie geschehen" von Olivier Norek

All dies ist nie geschehen

von Olivier Norek
Karl Blessing Verlag
2019, 368 Seiten
Altersempfehlung: ab 14 Jahren
Preis: 18,00 Euro

„Wirf sie über Bord!“
„Jetzt?“
„Auf hoher See können wir uns die Kleine leichter vom Hals schaffen als auf einer Autobahnraststätte.“
„Ich glaube, das schaffe ich nicht. Mach du es.“
Und zur Mutter: „Deine Kleine. Wirf sie über Bord!“

Nach diesen Sätzen auf den ersten Seiten habe ich das Buch beiseite gelegt und mich als Mutter und Großmutter gefragt, ob ich es schaffe, dieses Buch zu Ende zu lesen.
Doch ich finde dieses Buch zu wichtig, um es zu verschweigen. Zumal der Autor hier eine wahre Geschichte erzählt.

Der Syrer Adam Sarkis spricht neben seiner Muttersprache fließend Französisch. Er arbeitet im Untergrund gegen Assad. Als seine Tarnung aufzufliegen droht, organisiert er mit der Hilfe seines Freundes für Frau und Tochter einen Platz auf einem Schiff in Richtung Frankreich und will so schnell wie möglich folgen. Abgemachter Treffpunkt ist Calais.

Doch in dem Flüchtlingslager, das alle nur den „Dschungel“ nennen, findet er weder seine Frau noch seine Tochter. Später wird er erfahren müssen, dass es kein Schiff gegeben hat, das seine Familie nach Frankreich bringen sollte. Es wurde ein Schlauchboot. Weil seine kleine Tochter öfter gehustet hat und man fürchtete, entdeckt zu werden, gab der Schleuser den Befehl, sie über Bord zu werfen. Seine Frau ist hinterher gesprungen und ebenfalls ertrunken. Er wird sie also im Dschungel nicht finden.

Was er jedoch vorfindet, ist unbeschreibliches Elend, Gewalt und Terror. Und die Hoffnung, auf einen Laster Richtung England aufspringen zu können. Er verzweifelt. Wie viele hier.

Um nicht den Verstand zu verlieren, versucht er, ein sudanesisches Kind vor der allgegenwärtigen Gewalt im Lager zu beschützen.

Und dann ist da Bastien Miller, ein junger französischer Police-Lieutenant. Ihn lernt Adam im Lager kennen. Bastien unterstützt ihn bei der Suche nach seiner Familie und geht ein hohes Risiko ein.
Er zieht seine anfangs widerstrebenden Kollegen und schließlich sogar die eigene Familie mit in seine illegalen Bemühungen ein und kann schlussendlich doch nur ein einziges Leben retten.

Der Autor Olivier Norek war Police Lieutenant in Seine-Saint-Denis. Zum Roman schreibt er:

„Angesichts der Grausamkeit der Realität wollte ich es mir nicht erlauben, eine Geschichte zu erfinden. Nur der Verlauf der hier geschilderten polizeilichen Ermittlungen ist fiktiv, denn diese beruhen auf wahren Ereignissen.Insbesondere danke ich den Männern und Frauen, die vor den Schrecken der Kriege geflohen sind und bereit waren, mir ihre Geschichte zu erzählen.“

Unvorstellbar – für jeden von uns.

Bremen, 4. Mai 2019